domingo, 16 de setembro de 2018

Egon Schiele

DER TAGESSPIEGEL
27.04.2008

Ein Virus bedroht die Welt

Die Spanische Grippe tötete in einem Jahr so viele Menschen wie die Pest in einem Jahrhundert. Das Virus befiel 1918 die ganze Welt. Sein Rätsel ist bis heute nicht gelöst.

(Anna Kemper)

Herbst 1918, viertes Kriegsjahr. In Wien hat Egon Schiele, 28 Jahre, Maler, eine kalte Wohnung und eine kranke Frau. "Ich habe noch immer keine Kohlen", schreibt er seinem Schwager, "und brauche schon heute nachmittags einige." Am 27. Oktober schickt er seiner Mutter einen Brief: "Liebe Mutter Schiele, - Edith erkrankte gestern vor acht Tagen an spanischer Grippe und bekam Lungenentzündung dazu. Die Krankheit ist äußerst schwer und lebensgefährlich; - ich bereite mich bereits auf das Schlimmste vor, da sie fortwährend Athemnot hat." Am selben Tag kritzelt Edith Schiele, im sechsten Monat schwanger, kraftlos auf einen Zettel: "Ich habe ich Dich unendlich liebe und liebe Dich immer mehr grenzenlos und maßlos Deine Edith." Egon Schiele zeichnet seine Frau, zum letzten Mal. Sie stirbt um acht Uhr morgens.

Egon Schiele bestellt Blumen für die Totenfeier, schöne Blumen, wie seine Frau sie liebte. Am 30. Oktober wird Edith Schiele begraben. Als Schiele vom Friedhof heimkehrt, fröstelt ihn, er muss sich legen. Dann schüttelt ihn das Fieber.

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Im Frühjahr, als die Grippe Loring Miner in Haskell County keine ruhige Nacht lässt, stirbt Gustav Klimt in Wien an einem Schlaganfall. Egon Schiele ist nun der erste Maler der Stadt. Als im März die Grippe Camp Funston trifft, eröffnet in der Wiener Sezession eine Ausstellung mit 19 Bildern Schieles. Alle werden verkauft, zu hohen Preisen, 5000 Kronen bringt ihm allein ein Ölgemälde. Bis dahin hatten sich Schiele und seine junge Frau nur das Nötigste leisten können.

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Wo kommt sie her, diese Grippe, die die Truppen lahmlegt? Eine deutsche Kriegswaffe, munkeln einige, vom Pharmakonzern Bayer in Aspirintabletten injiziert. Nein, sagen andere, auf einem deutschen Schiff, das unbemerkt nachts in Boston angelegt habe, sei sie ins Land gebracht worden. Der Leiter der Hygieneabteilung der US-Werften verkündete auf der Titelseite des "Philadelphia Inquirer", deutsche Agenten hätten Ampullen mit Keimen in die USA geschmuggelt und diese in der Stadt verteilt: "Jeder, der spuckt, hilft dem Kaiser."

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Ende Mai erreicht die Grippe Schanghai, sie gelangt, die Bahnstrecke entlang, von Kalkutta über Madras, Rangoon nach Karatschi. Im Juni hat sie ihren Höhepunkt in Portugal und Griechenland, im Juli in Dänemark und Norwegen. Als Egon Schiele mit seiner Frau im August Ferien auf dem Land bei Wien macht, rollt die erste Welle der Grippe nur noch schwach durch Holland und Schweden.

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In Deutschland füllt der Krieg die Zeitungen, über die Grippe wird kaum geschrieben. Ende August steht in der "Rheinischen Zeitung" einer der wenigen Artikel, in denen sich die Angst vor der Pandemie zeigt: "Durch Europa wandert eine unheimliche Gestalt. Tausende Menschen sind von der spanischen Grippe angeblasen. Ganze Ortschaften liegen fiebernd im Bett und überall, wo viele Menschen beisammen sind, schleicht das grüne Gespenst umher und pustet Myriaden Bazillen aus. Hätten wir nur kräftiges Essen, wir wollten des Gespenstes schon Herr werden. Aber mit Kriegsbrot läßt sich dieser Teufel nicht bannen."

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Der Grippe ist es gleich, ob sie auf eine geschwächte oder gesunde Bevölkerung trifft, ja, sie verhält sich so ganz anders, als man es von dieser Krankheit gewohnt ist: Sie rafft nicht vor allem Kinder und Alte hinweg, sondern ist besonders tödlich für die 20- bis 40-Jährigen, deren Immunsystem doch eigentlich am stärksten ist. Und das Virus ist erneut mutiert, es ist noch aggressiver als im Februar in Haskell County: Manche Patienten sterben innerhalb von zwölf Stunden. Die Kranken leiden unter heftigen Ohren- und Augenschmerzen, oft ist ihre Sehfähigkeit eingeschränkt. Sie fallen ins Delirium, Gliederschmerzen scheinen sie zu zerreißen, Hustenkrämpfe durchschütteln sie. Blut rinnt ihnen aus der Nase, aus dem Mund, aus den Ohren, aus den Augen, aus der Haut. Bei vielen transportiert das Blut nicht genügend Sauerstoff in die Lungen, eine Zyanose tritt ein, die Haut färbt sich dunkel.

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Der Krieg geht dem Ende zu, aber noch sterben die Soldaten an der Front, noch brauchen die Kriegsparteien Nachschub. Im September 1918 wird in Wien Egon Schiele erneut auf Kriegstauglichkeit überprüft.

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Oktober 1918. In Wien hat Egon Schiele Angst vor der Grippe und eine schwangere Frau. "Er, der sich nie gescheut hatte vor dem Besuch eines an ansteckenden Leiden Erkrankten, hielt sich und seine Gattin nunmehr strenge vom Verkehr mit den Menschen fern", schreibt sein Freund Arthur Rössler später. "Er vermied es nach Tunlichkeit, in der Schlechtwetterzeit in öffentliche Lokale zu gehen, die stets überfüllte Straßenbahn zu benützen, und bekannte unverhohlen, daß er sich vor der 'schwarzen' Grippe fürchte, die gerade in Wien heftig wütete und viele Menschen hinwegraffte."

Man hatte die Grippe unterschätzt: Für die Kriegsparteien war der Krieg wichtiger, die Bevölkerung sollte nicht in Panik versetzt werden, es gab weder einen Plan, um die Ausbreitung der Pandemie zu verhindern, noch verlässliche Ratschläge für die Bevölkerung, wie sie sich schützen könnte. Und dann war es zu spät. Der subjektive Eindruck war noch schlimmer als die Realität, "in der Stadt die Grippe in entsetzlichem Masse", notiert Stefan Zweig in Zürich Mitte Oktober in sein Tagebuch. "Eine Weltseuche, gegen die die Pest in Florenz oder ähnliche Chronikgeschichten ein Kinderspiel sind. Sie frisst täglich 20 000 bis 40 000 Menschen weg."

Zur gleichen Zeit erreicht die Spanische Grippe die Wattmanngasse 6 in Wien: Egon Schieles Frau ist krank. Arthur Rössler schreibt: "Er verbarg sein Teuerstes und sich vergeblich vor der verderbenschwangeren Seuche."

Die Zeichnung seiner sterbenden Frau ist Egon Schieles letzte. In einer stillen Herbstnacht ohne Sterne, drei Tage nach dem Tod seiner Frau, am 31. Oktober 1918, sagt Egon Schiele auf seinem Sterbebett: "Der Krieg ist aus - und ich muss geh'n." Um ein Uhr morgens ist er tot.


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Krieg und Tod

1915:

Vier Tage, bevor Egon Schiele am 21. Juni nach Prag als Soldat einrücken muss, heiratet er Edith Harms. Vor der Heirat bestand sie darauf, dass er sich von Wally trennt, was er dann auch tut. Sie folgt ihm gleich nach Prag. Einen Monat später wird Schiele nach Wien versetzt und kann hier und in der näheren Umgebung seinen Militärdienst verrichten.

1916:

Im Mai wird Egon Schiele als Schreiber in das Lager für kriegsgefangene russische Offiziere nach Mühling bei Wieselburg versetzt. In dieser Zeit war er künstlerisch nicht sehr produktiv. Doch entstand die "Zerfallende Mühle". Schiele fühlte sich verloren und abgeschnitten und bemühte sich unablässig um eine Versetzung an das Heeresmuseum in Wien.

1917:

Schiele wird endlich nach Wien an die "k.k. Konsumanstalt für Gagisten im Felde" als Kanzlist kommandiert und wird gemeinsam mit Gütersloh beauftragt, die "Kriegsausstellung 1917" im Prater zu organisieren.

1918:

Ende April gelingt ihm die Kommandierung an das Heeresmuseum, das zu dieser Zeit einen Zufluchtsort für Künstler, Schriftsteller und Journalisten, usw. darstellte.

Am 6. Februar stirbt Gustav Klimt. Am Tag danach hat Schiele den toten Klimt im Allgemeinen Krankenhaus dreimal gezeichnet. Durch den Tod Klimts war er plötzlich der anerkannt führende Künstler Wiens.

Im März stellt die Wiener Sezession Schiele und seiner Gruppe ihr Gebäude zur Verfügung, Schiele selbst den Hauptsaal. Er ist mit 19 großen Gemälden und 29 zum Teil aquarellierten Zeichnungen vertreten. Künstlerisch und materiell bedeutet diese Ausstellung für ihn den ersten wirklichen Erfolg.

Während des Jahres 1918 grassiert in Europa und Teilen Afrikas die "Spanische Grippe", die häufig mit schwerer Lungenentzündung einher ging. Egon Schiele versucht seine schwangere Frau Edith so gut es geht vor einer Ansteckung zu schützen, aber dies gelingt ihm nicht. Sie stirbt am 28. Oktober. Egon Schiele, der zu dieser Zeit selber schon erkankt war, wird zu seiner Schwiegermutter in deren Wohnung in Wien Hietzing gebracht, um ihn zu pflegen. In den frühen Morgenstunden des 31. Oktobers verstirbt aber auch er an den Folgen der Krankheit. Er hinterlässt keinen Erben.


Fontes:
http://www.tagesspiegel.de/spanische-grippe-ein-virus-bedroht-die-welt/1220190.html
http://www.egon-schiele.eu/de/egon-schiele/krieg-und-tod

Mais:
http://docs.google.com/file/d/0BxwrrqPyqsnIZGZYOGZRSDZiRU0
http://www.youtube.com/watch?v=xreVKRwDbbQ
http://www.egon-schiele.net/?ps=48